Picky Eater: Ein entspannter Blick auf kindliches Essverhalten
Hilfe, mein Kind will kein Gemüse – und Fleisch schon gar nicht! Kennt ihr das?
Wir erklären euch, warum ihr euch beim Thema "picky eater" (wählerische Esser) entspannen könnt.
Als Mutter, psychologischer Ernährungscoach und Pädagogin weiß ich: Dieses Verhalten ist völlig normal. Und gleichzeitig unglaublich nervenaufreibend. Die gute Nachricht: Essen ist erlernbar, Geschmack ist formbar – und mit ein paar Tricks und viel Gelassenheit kann man selbst Kinder, die anfangs vehement ablehnen, an neue Lebensmittel heranführen.
Es ist ein Szenario, das in vielen Familien Abend für Abend gespielt wird: Der Tisch ist gedeckt, mit viel Liebe (und Schweiß!) gekochte Mahlzeiten stehen bereit – und das Kind? Schiebt den Teller mit einem angewiderten Blick von sich. Gemüse? Nein danke. Fleisch? Igitt. Leber? Kommt gar nicht in Frage!
Wer hier innerlich nach Luft schnappt, darf sich entspannen: Dieses Verhalten ist weder Ausnahme noch Katastrophe. Es ist (leider) ziemlich normal. Aber: Es gibt Wege, die Situation zu entkrampfen – und Kindern Lust auf gesunde Vielfalt zu machen, ohne Machtkämpfe am Esstisch.
Zucker, Süßes und das Märchen vom Besonderen
Viele Eltern kennen die Logik: Für gute Noten gibt es eine Schokolade, zum Trost bei Tränen ein Bonbon. Klingt lieb gemeint, ist aber pädagogisch ein kleiner Bumerang. Warum? Weil Zucker so zur „Belohnung schlechthin“ wird – und die Abwesenheit schnell wie ein Mangel empfunden wird.
👉 Stattdessen macht es Sinn, Süßes zu normalisieren und ohne Pathos einzubauen. Kuchen darf bei Oma auf den Tisch, Eis im Sommer natürlich auch – aber die Belohnungen im Alltag sollten nicht am Zucker hängen. Für Trost oder Freude reicht manchmal ein Spiel, ein Buch, ein Kuschelmoment. Oder, mein persönlicher Favorit: eine gefrorene Melone aus dem Tiefkühlfach – knackt, ist erfrischend und macht genauso froh wie ein Lutscher.
Geschmack ist lernbar – warum Ablehnung normal ist
„Das schmeckt mir nicht!“ – diesen Satz kennen Eltern. Aber selten wissen sie, dass Kinder ein neues Lebensmittel im Schnitt 10–30 Mal probieren müssen, bevor es positiv abgespeichert wird.
Das liegt nicht an Sturköpfen, sondern an Evolutionsgeschichte: Vorsicht vor Neuem schützte unsere Vorfahren davor, giftige Pflanzen oder unbekannte Kräuter achtlos in den Mund zu stecken. Ein gewisser Ekelreflex bei Unbekanntem ist also normal – und sollte uns nicht frustrieren, sondern motivieren.
Die Zauberformel heißt: Geduld und Wiederholung. Immer wieder anbieten, kleine Portionen reichen – irgendwann wandelt sich „Bäh“ vielleicht in „Hmm, geht doch“.
Das Prinzip Probierlöffel 🥄
Eines meiner absoluten Lieblingswerkzeuge im Alltag ist der Probierlöffel.
Anstatt ein Kind mit Druck zu überreden, den ganzen Teller leer zu essen („Iss doch bitte wenigstens xy!“), bieten wir winzige Portionen an.
👉 Ein Mini-Löffel Suppe, so klein, dass er fast verschwindet.
👉 Ein einzelnes Erbschen statt einer Schaufel voll.
Dieses Prinzip nimmt den Druck – und erlaubt Kindern, neugierig aus freien Stücken mehr zu probieren. Oft entwickelt sich daraus sogar Stolz: „Schau, Mama, jetzt nehme ich den „großen Löffel!“ Und ja, dann darf die ganze Familie ruhig applaudieren.
Sprache und Atmosphäre am Tisch
Es macht einen riesigen Unterschied, wie wir über Essen sprechen.
„Das magst du eh nicht“ → zementiert Ablehnung.
„Iss das, es ist gesund“ → klingt nach Medizin, nicht nach Genuss.
Besser: Essen beschreiben. „Hör mal, wie die Möhre knackt!“, „Schau, wie golden der Honig leuchtet!“ – plötzlich wird die Mahlzeit zum Erlebnis, nicht zur Hausaufgabe.
Und ganz wichtig: Der Tisch ist kein Gerichtssaal. Essen sollte Begegnung, Frieden und Freude bedeuten – nicht Streit und Erpressung.
Regeln ohne Dogma
Ein häufiger Fehler: zu strenge Verbote. Wer Zucker, Weißbrot oder Fertigprodukte zu Tabuzonen erklärt, produziert meist eher Trotzreaktionen als Einsicht.
Mein Ansatz: Bewusstsein statt Dogma.
Ein Eis im Sommer, eine Apfelschorle im Restaurant oder ein Geburtstagskuchen – das ist kein „Fehler“, sondern Teil eines normalen Lebens. Im Alltag jedoch: frische, ausgewogene Ernährung, selbst gekocht, vielseitig.
Kinder spüren, wenn Eltern entspannt bleiben, anstatt um jeden Keks eine Grundsatzdiskussion zu beginnen.
Kinder mitmachen lassen
Kinder essen lieber das, was sie selbst (mit)gekocht haben. Sie dürfen schnippeln, umrühren, abschmecken, probieren. Sie dürfen entscheiden, ob Minze auf den Möhren landet oder ob sie die Suppe „noch kräftiger“ abschmecken wollen.
Diese kleinen Beteiligungen machen riesige Unterschiede: Plötzlich sind Kinder stolz auf ihr Werk – und probieren dann vielleicht doch den Brokkoli, den sie selbst aus dem Ofen geholt oder an den Tisch gebracht haben.
Fleisch – ein besonderes Thema
Gerade Fleisch sorgt für Konflikte. Manche Kinder verweigern es grundsätzlich, andere nur bestimmte Sorten. Die Gründe sind vielfältig: Der intensive Geruch, eine unangenehme Konsistenz – oder schlicht fremde Stimmen von außen („Igitt, du isst ein totes Tier!“). Besonders im Kindergarten oder in der Schule wirken solche Sprüche enorm.
Hier hilft Aufklärung, altersgerecht und respektvoll:
- Hochwertiges Fleisch ist nicht mit Massenproduktion vergleichbar.
- Tiere aus artgerechter Haltung haben ein gutes Leben geführt.
- Dankbarkeit und Respekt vor dem Tier dürfen in die Tischgespräche einfließen.
👉 Rituale wie „Danke, liebes Huhn, für diese Suppe“ geben dem Essen Würde und nehmen den Schuld-Aspekt.
Und: Bitte kein Fleisch „unterjubeln“. Getarnte Hirsebällchen mit Hackfleisch-Geheimnis sorgen eher für Vertrauensverlust als für Lust auf mehr. Besser ist es, Kinder einzubeziehen: Sie dürfen Fleisch würzen, in der Pfanne rühren und probieren. Winzige Mengen beim ersten Mal reichen völlig – steigern kann man später immer noch.
Und ja: Nicht jedes Kind muss alles lieben. Manche werden keinen Rosenkohl mögen, egal wie oft man es probiert. Dann ist das so. Vielfalt anbieten, Toleranz für Vorlieben zeigen – das ist der Schlüssel.
Der Familienfaktor
Für Kleinkinder gilt: Sie lernen am Modell. Wer schon früh einfach selbstverständlich mitisst, was die Familie isst, wird viel leichter an Vielfalt gewöhnt.
Sehen Kinder, wie alle am Tisch mit Genuss die Brühe löffeln oder Hackbällchen essen, zögern sie seltener. Nachmachen ist eine der stärksten Lernstrategien – auch beim Essen.
Fazit: Gelassenheit. Humor. Liebe.
„Picky eater“ sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Ablehnung gehört zum Lernprozess dazu. Mit Geduld, Spielen wie dem Probierlöffel, respektvollem Umgang mit Fleisch, klarer Sprache und einem Schuss Humor können Kinder langsam aber sicher an neue Lebensmittel herangeführt werden.
Eltern dürfen sich entspannen: Niemand wird über Nacht zum Gemüsefan oder Fleischfreund. Aber kleine Schritte summieren sich. Und das Wichtigste am Familientisch bleibt: Freude. Essen darf Spaß machen – mit Gelassenheit, mit Liebe und ja, mit ganz viel Lachen.
Dieser Beitrag wurde verfasst von Kamila (kamilakocht), die bei Vitasauri ihre leckeren Familien-Rezepte mit euch teilt und uns mit ihrer Expertise als erfahrene Ernährungs- und Familiencoachin sowie Mutter begleitet.